Am Donnerstag, den 30.09.2010 wurden im Deutschen Bundestag zwei Anträge beraten, die im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher zum Handeln bei den derzeit hohen Zinsen für Dispositions- und Überziehungskredite auffordern.
Die Rede der zuständigen Berichterstatterin im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Kerstin Tack finden Sie hier.

Quelle "Deutscher Bundestag"

Das Video zur Rede finden Sie auch auf der entsprechenden Seite des

Rede 30.09.2010 im Deutschen Bundestag

Kerstin Tack (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne!

Ich glaube, die derzeit absolut überzogenen Zinsen für die Dispo- und Überziehungskredite finden wir über alle Fraktionen hinweg nicht in Ordnung.
Ich glaube, diese Feststellung können wir hier im Parlament für alle gemeinsam treffen.
Nur bei der Antwort auf die Frage, was aus dieser Erkenntnis folgt, wird unsere Bewertung sicherlich sehr unterschiedlich sein.

Dass die Banken derzeit Geld zu einem Zinssatz von lediglich 1 Prozent bekommen, wenn sie es sich leihen, während sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die ihr Konto überzogen haben, im Gegenzug Zinssätze von 6 bis 17 Prozent in Rechnung stellen, ist nicht in Ordnung. Jeder sechste Bankkunde steht mit seinem Konto in den Miesen. Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinssätze von 4,25 Prozent im Oktober 2008 auf 1 Prozent - ich habe es gerade erwähnt - im Mai 2009 gesenkt, und dort steht dieser Leitzins heute noch immer.
An die Verbraucherinnen und Verbraucher werden niedrige Guthabenzinsen weitergereicht, gleichzeitig werden von ihnen hohe Überziehungszinsen verlangt.
Beides ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher ein deutlicher Nachteil; das müssen wir so sagen. Es hat den Anschein, als würden die Banken die hohen Dispozinsen zum Gegenstand des Sanierungsprogramms erklären, um den Verlust, den sie aus der Krise erlitten haben, wieder auszugleichen. So geht es aber nicht.
Das können und sollten wir auf keinen Fall zulassen.
- Ich nehme zur Kenntnis, dass auch Sie von der Koalition mir hierin zustimmen.

Jeder Prozentpunkt, um den der Zinssatz für Dispo und Überziehungszinsen nicht gesenkt wird, kostet die Verbraucherinnen und Verbraucher 416 Millionen Euro im Jahr, so die Stiftung Warentest. 416 Millionen Euro im Jahr, bezogen auf das aktuelle Kreditvolumen, das laut der Bundesbank mit 41,6 Milliarden Euro - der Kollege hat es gesagt - ausgewiesen ist.
Der Zentrale Kreditausschuss verteidigt selbstverständlich die hohen Zinsen und sagt, das sei mit dem flexiblen Kreditrahmen und mit der Notwendigkeit der Eigenkapitalbildung zu begründen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das zur Begründung herhalten soll, dann frage ich mich, wie es zu Unterschieden zwischen 6 und 17 Prozent kommen kann. Das ist eine an den Haaren herbeigezogene Begründung. Auf die sollten wir uns nicht verlassen, wenn wir uns über die Frage unterhalten: Was lernen wir denn aus der Situation, und gibt es einen akuten Handlungsbedarf?

Die Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen im Moment doppelt. Auf der einen Seite zahlen sie für die überzogenen Zinsen, und auf der anderen Seite haben sie bereits als Steuerzahlende für die staatlichen Unterstützungen bezahlt, die wir ja teilweise denselben Banken, die jetzt die hohen Zinsen nehmen, vorher in die Tasche gesteckt haben. Sie zahlen also auf der einen Seite als Steuerzahler für die Unterstützung der Banken, und auf der anderen Seite als „Melkkuh“, wenn ihnen hohe Überziehungszinsen zugemutet werden.

Wir haben seit Juni dieses Jahres mit der Verbraucherkreditrichtlinie das Erfordernis, dass die Banken ihre Anpassungskriterien offenlegen. Aber - das müssen wir klar sagen - wenn es so ist, dass die Differenz zwischen den Überziehungszinsen und den Referenzzinsen so deutlich wie im Moment ist, dann ist das ein Verbraucherunfreundliches Verhalten, das nicht zum Maßstab für die künftige Entwicklung der Dispozinsen genommen werden darf. Deshalb müssen wir hier sehr genau überlegen, ob die Verbraucherkreditrichtlinie an dieser Stelle genügt, um zum jetzigen Zeitpunkt die Differenz zu bestimmen.
Deshalb fordern ja auch alle Bundesländer die Ministerin für Verbraucherschutz auf, staatliches Eingreifen hier nicht länger auszuschließen. Sie sagte: „Die Zinssenkungen
müssen unverzüglich an die Kunden weitergegeben werden“. Die Kreditinstitute dürften sich nicht länger auf Kosten der Verbraucher sanieren. Ferner sagte sie: Die Institute sollen endlich die Leitzinssenkungen weitergeben. „Das ist nicht akzeptabel“. Da denkt man sich: Wunderbar, die Verbraucherschutzministerin will da was tun.
Die beiden Zitate, die ich eben gebracht habe, stammen aus dem Jahr 2009. Da fragt man sich: Was ist passiert zwischen dem Zeitpunkt der Erkenntnis der Ministerin in 2009 und der Situation, die wir am heutigen Tag haben?
Da nehmen wir wahr, dass die von der Ministerin als inakzeptabel beschriebene Situation bis heute keine Veränderung erfahren hat, und wir nehmen auch wahr, dass die Verbraucherschutzministerin ihre Regelungskompetenz in diesem Bereich nicht wahrnimmt, sondern sich wie immer in Ankündigungen, in tollen Worten, in Entsetztsein erschöpft, aber mal wieder nicht in der Lage ist, irgendeine Regelung auf den Weg zu bringen.
Die Leidtragenden sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, und das kann es nicht sein.
Deshalb fordern wir die Ministerin ganz nachdrücklich auf, an dieser Stelle mit ihrer Studie nicht noch mehr Zeit zu vertun. Wir haben doch von der Stiftung Warentest genau eine solche Studie vorliegen, und zwar nicht nur für dieses Jahr, sondern auch noch für die letzten Jahre. Da brauchen wir jetzt nicht noch mehr Zeit ins Land gehen zu lassen, bis wir wissen, dass es hier einen Handlungsbedarf gibt und wie sich das alles entwickelt hat. Deshalb sagen wir: Ran, entscheiden, vorlegen!
Die Frage, ob geltendes Recht reicht oder nicht - das will ich noch zum Schluss sagen -, soll auch Teil der jetzt vorzulegenden ausführlichen Studie sein. Dazu muss man sagen: Ob das geltende Recht das abdeckt oder nicht, dazu brauchen wir keine mehrmonatige Erarbeitung einer Studie. Das müssen die Juristen aus einem
Ministerium einem in wenigen Stunden sagen können. Diese Erwartungshaltung an gutbezahlte Juristen kann man haben. Das können die auch, wir brauchen also keine Zeit zu vergeuden.
Wir haben Grund genug, die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger wegen Nichthandeln Kosten tragen zu lassen. - Frau Präsidentin, ich weiß, ich habe meine Redezeit überzogen. - Deswegen unterstützen wir das Ansinnen der beiden antragstellenden Fraktionen.

Ich sage noch einmal deutlich: Es gibt einen Handlungsbedarf und kein Erkenntnisdefizit.