Rede MdB Kerstin Tack (SPD)

02.07.2015 TOP 19.*)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen

Drucksache 18/5377

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Menschen mit Behinderungen sollen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Das ist nicht nur unser großes Anliegen, sondern spätestens seitdem wir im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben, auch unsere Verpflichtung! Die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben spielt dabei eine besonders wichtige Rolle.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen liegt in Deutschland bei 35 Prozent. Nicht nur der EU-Durchschnitt liegt mit 38 Prozent darüber, sondern Länder wie Schweden und Frankreich schaffen sogar mehr als 60 Prozent. Da müssen wir besser werden! Denn ein selbstbestimmtes Leben schließt ein, den eigenen Lebensunterhalt mit einer frei gewählten Tätigkeit selbst zu verdienen.

Unser Ziel ist darum ein inklusiver Arbeitsmarkt. Das bedeutet: Wir brauchen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Fokus darauf liegt, was ein Mensch kann und nicht, was er nicht kann. Und wir brauchen mehr Beschäftigungsverhältnisse, in denen Menschen arbeitsbegleitende Unterstützung erhalten, wenn sie sie gerade brauchen.

Genau solche Arbeitsplätze bieten die rund 800 Integrationsbetriebe in Deutschland schon jetzt an. Die meist kleinen und mittelständischen Unternehmen beschäftigen insgesamt mehr als 22.000 Mitarbeitende. Knapp die Hälfte davon lebt mit einer Schwerbehinderung. Vor allem Menschen mit seelischen und geistigen Behinderungen, aber auch Menschen mit schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderungen finden dort eine passgenaue Ausbildung oder Beschäftigung – falls nötig, und das ist das Besondere, mit individueller Unterstützung!

Gerade für Schulabgängerinnen und -abgänger aus Förderschulen bieten sie auch eine gute Möglichkeit, die leider noch viel zu häufig praktizierte Bildungskette „Förderschule-Werkstatt“ zu durchbrechen. Anstatt dass schwerbehinderte Jugendliche von einem separierenden System in das Nächste wechseln, erhalten sie in Integrationsbetrieben direkt eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Darum streben wir mit unserer Initiative auch ein besseres Übergangsmanagement für den Wechsel von der Schule in Integrationsfirmen an.

Zur Zeit fördern die Integrationsämter die Integrationsbetriebe mit Mitteln der Ausgleichsabgabe. Im Jahr 2013 sind 68 Millionen Euro in den Aufbau und die Instandhaltung von Betrieben geflossen. Sie wurden damit betriebswirtschaftlich beraten und besonderer Aufwand und außergewöhnliche Belastungen wurden ausgeglichen. Doch diese Mittel reichen nicht aus.

In Integrationsbetrieben leben Menschen mit und ohne Behinderungen schon jetzt Tag für Tag vor, wie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussehen kann. Diese Erfolgsgeschichte müssen wir aktiv fortschreiben. Es kann darum nicht sein, dass Anträge auf Gründung neuer Integrationsbetriebe nicht bearbeitet werden können, weil das Geld dazu fehlt.

Darum wollen wir die Integrationsbetriebe mit 150 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales massiv stärken. Je 50 Millionen Euro sollen in den Jahren 2015, 2016 und 2017 zur Verfügung stehen, um den Ausbau von Integrationsbetrieben zu fördern und so die Anzahl der Arbeitsplätze zu verdoppeln. Aber auch Werkstätten können Integrationsbetriebe gründen und Gesamtkonzepte zur Stärkung entwickeln, die eine hohe Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt gewährleisten.

Dass Integrationsbetriebe neben Werkstätten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zukünftig bevorzugt berücksichtigt werden können, ist eine weitere wichtige Maßnahme, um sie zu stärken. Damit unterstützen wir ihre Wettbewerbsfähigkeit, denn sie müssen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen bestehen. Anders als diese anderen Unternehmen beschäftigen sie aber eine hohe Anzahl von besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen UND müssen rentabel wirtschaften. Das ist ein Drahtseilakt, den die Integrationsbetriebe seit Jahren respektabel meistern. Mit der neuen Regelung zur Vergabe wollen wir jetzt die Bedingungen dafür verbessern.

Vor dem Hintergrund, dass das Modell der Integrationsbetriebe sich bewährt hat, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um es fortzuentwickeln. Darum wollen wir mehr Menschen die Möglichkeit geben, in Integrationsbetrieben zu arbeiten und von dem Konzept zu profitieren. Wir wissen, dass Menschen, die schon lange Zeit arbeitslos sind, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oft besonders schwer fällt. Auf langzeitarbeitslose Menschen mit Schwerbehinderungen trifft das noch einmal in besonderem Maße zu.

Wir wissen, dass leider viele Langzeitarbeitslose bei der Arbeitssuche auf Vermittlungshemmnisse und Vorbehalte stoßen, die zeigen, wie wichtig ein inklusiver Arbeitsmarkt für die gesamte Gesellschaft ist. Auch viele langzeitarbeitslose Menschen finden in Integrationsbetrieben Arbeitsbedingungen und Unterstützungsangebote vor, die ihnen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt erleichtern können. Ich finde es darum richtig und nicht zuletzt im Sinne der Idee von Inklusion, dass wir die Integrationsbetriebe zukünftig auch für die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen öffnen wollen. Dabei muss jedoch klar sein, dass Langzeitarbeitslose mit und ohne Schwerbehinderung auch weiterhin durch die Eingliederungsmittel der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden.

Ich freue mich über diese Initiative, denn wir schaffen für mehr Menschen die Gelegenheit, den eigenen Lebensunterhalt mit einer frei gewählten Tätigkeit selbst zu verdienen. Damit gehen wir einen großen Schritt in Richtung Inklusiver Arbeitsmarkt – auch, wenn außer Frage steht, dass wir auf diesem Weg noch viele weitere Schritte zu gehen haben.

Und natürlich haben wir auch noch viel mehr vor:

Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes wollen wir das Budget für Arbeit bundesweit einführen. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Niedersachsen gibt es schon sehr gute Erfahrungen damit und es ist ein vielversprechendes Instrument, um personenzentrierte Arbeitsplätze in Unternehmen zu fördern.

Klar ist auch, dass wir flexible Übergänge zwischen den Werkstätten für behinderte Menschen und dem ersten Arbeitsmarkt brauchen, damit mehr Werkstatt-Beschäftigte sich dazu entscheiden, die Werkstatt zu verlassen. Dazu gehören vor allem klare Regelungen zum Rückkehrrecht. Diejenigen, die den Mut und den Willen aufbringen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, brauchen die Sicherheit, in die Werkstatt zurückkommen zu dürfen, falls sie das möchten.

Außerdem müssen wir bei Unternehmen mehr für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen werben. Wir müssen Förderinstrumente verbessern und mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern darüber ins Gespräch kommen. Denn natürlich zählen sie zu den wichtigsten Akteurinnen und Akteuren auf unserem Weg zum Inklusiven Arbeitsmarkt. Viele von ihnen setzen sich bereits für dieses Ziel ein. Aber viel zu viele tun es noch nicht. Es gibt noch immer 37.500 Unternehmen, die die Beschäftigungsquote erfüllen müssten, aber GAR keine schwerbehinderten Mitarbeitenden haben.

Es sei dahingestellt, ob der Grund dafür Unwissenheit oder Unwille ist. In jedem Fall müssen wir sie darüber informieren, was es bedeutet – und vor allem, was es nicht bedeutet! – Menschen mit Behinderungen einzustellen. Hier gibt es bereits gute Programme wie das Projekt „Wirtschaft inklusiv“, auf die wir aufbauen können.

Ein inklusiver Arbeitsmarkt mit tatsächlicher Wahlfreiheit ist erst dann gegeben, wenn jede Wahl zur Arbeitsaufnahme auch ermöglicht werden kann.

Zu dieser Wahlfreiheit gehören für Menschen mit Schwerbehinderungen Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, zu denen auch Integrationsbetriebe zählen, genauso wie Arbeitsmöglichkeiten in geschützten Werkstätten oder Außenarbeitsplätze.

Mit unserem Antrag kommen wir einen wichtigen Schritt weiter auf dem inklusiven Arbeitsmarkt.

Herzlichen Dank.