Rede von Kerstin Tack im Deutschen Bundestag 17.05.2013

Quelle "Deutscher Bundestag"

Das Video zur Rede finden Sie auch auf der entsprechenden Seite des


Kerstin Tack, MdB
Rede im Deutschen Bundestag 17.05.2013

Tagesordnungspunkt 54:

Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Moderne Mitbestimmung für das 21. Jahrhundert
(Drucksache 17/13476)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Arbeitswelt verändert sich – in den letzten Jahren ganz besonders schnell. Der demografische Wandel, die zunehmende Digitalisierung, die Arbeitsverdichtung und auch die Finanz- und Wirtschaftskrise führen nicht zuletzt dazu, dass wir auf der einen Seite eine Fachkräftelücke haben, auf der anderen Seite aber leider auch eine zunehmende Prekarisierung im Arbeitsleben. Ein tief gespaltener Arbeitsmarkt ist heute Wirklichkeit – nicht zuletzt auch mit der Folge neuer Herausforderungen insbesondere für die Gesundheit am Arbeitsplatz.

Bei diesen Entwicklungen dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht auf der Strecke bleiben. Die betriebliche Mitbestimmung ist ein besonders wichtiges Instrument zum Schutz der Beschäftigten, aber auch zur Mitgestaltung von Rahmenbedingungen und zur Kontrolle. Momentan hinken die Mitbestimmungsrechte inhaltlich der aktuellen Situation und Entwicklung deutlich hinterher. Fakt ist: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen vor Machtmissbrauch durch Unternehmen geschützt werden. Um das sicherzustellen, brauchen wir eine funktionierende Mitbestimmung in den Unternehmen, und Änderungen des Arbeitsmarktes müssen vom Mitbestimmungsrecht begleitet werden.

Physisch und psychisch sind mit den neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt Herausforderungen verbunden, die auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukommen. Der Arbeitsplatz muss so gestaltet sein – im Zweifel so gestaltet werden –, dass er physischen und psychischen Belastungen vorbeugt. Dabei müssen wir die Menschen einzeln in den Blick nehmen.

Heute nehmen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Last ihrer Arbeit mit nach Hause und mit in die Freizeit. Das müssen wir dringend ändern.

Auch das spezifische Leistungsvermögen älterer Beschäftigter muss berücksichtigt werden. Ein 60-jähriger Arbeitnehmer hat häufig ein anderes Leistungsvermögen als ein 25-jähriger. So etwas muss auch bei der Bereitstellung des Arbeitsumfeldes stärker Berücksichtigung finden.

Betriebsräte brauchen daher auch in diesem Bereich ein echtes Mitbestimmungsrecht. Gerade wenn es um präventive Maßnahmen geht, wenn es darum geht, gesundheitlichen Risiken vorzubeugen, ist die Beteiligung unverzichtbar. Dazu müssen die Betriebe auch finanziell stärker mit in die Verantwortung genommen werden. Gesundheitlichen Verschleiß können und wollen wir uns am Arbeitsmarkt nicht leisten. Natürlich spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle. Aber entsprechende Maßnahmen bringen den Unternehmen im Ganzen einen Mehrwert, nämlich gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit Stabilität für das Gesamtunternehmen.

Dasselbe gilt auch für den Bereich der betrieblichen Weiterbildung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird heute einiges abverlangt. Wir erwarten, dass sie sich auch im fortgeschrittenen Berufsalter kontinuierlich fortbilden. Ein Informatiker, der seine Ausbildung vor 30 Jahren abgeschlossen hat, steht heute vor ganz anderen Problemen als damals. Wir wollen Kontinuität in der Fortbildung und in der Weiterbildung. Auch hierfür benötigen wir starke Betriebsräte mit echten Mitbestimmungsrechten.

Außerdem halten wir es für geboten, dass ein Betriebsrat auch Mitspracherechte zum Umfang und zur Qualität von Angeboten der Fort- und Weiterbildung erlangen kann. Wir möchten dafür und auch für Freistellungs- und Rückkehrrechte ein Initiativrecht für den Betriebsrat.

Auf Beschäftigtenseite sind heute neben betriebszugehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch zunehmend Leiharbeiter oder Mitarbeiter mit Werkverträgen zu finden. Natürlich wollen wir ihren Anteil auf das Allernötigste begrenzen. Diese Herausforderung sehen wir, denke ich, alle miteinander. Ein echtes Mitbestimmungsrecht brauchen die Betriebsräte aber gerade auch hinsichtlich der Anzahl, der Dauer der Überlassung und des Einsatzbereichs von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. Die bestehenden Unterrichtungs- und Informationspflichten des Arbeitgebers über die Personalplanung müssen deshalb auch im Hinblick auf Fremdpersonal gelten. Der Betriebsrat muss schließlich über die Beschäftigten insgesamt im Bilde sein, um seine Arbeit allumfassend, ziel- und passgenau leisten zu können.

Das Betriebsverfassungsgesetz wurde vor zwölf Jahren zuletzt novelliert. Damals wurde es auf einen guten Stand gebracht. Damals hat Rot-Grün Vertrauen in mehr Mitbestimmung gesetzt. Heute wissen wir: Das war richtig. Nun ist Zeit für den nächsten Schritt hin zu mehr Mitbestimmung. Dafür steht die SPD. Übrigens, erinnern wir uns: In der Krise waren die Betriebsräte solide und unverzichtbare Partnerinnen und Partner.

So wichtig wie ein Arbeitsplatz ist, der gesundheitlichem Verschleiß vorbeugt, so wichtig Fort- und Weiterbildungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, so wichtig Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen sind, genauso wichtig ist auch die Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes. Darum bitten wir heute um Ihre Zustimmung. Lassen Sie uns gemeinsam an der Weiterentwicklung arbeiten. Die Beschäftigten werden es uns danken.

Herzlichen Dank.