Rede von Kerstin Tack im Deutschen Bundestag am 17. März 2016

Quelle: "Deutscher Bundestag"

Das Video zur Rede finden Sie auch auf der entsprechenden Seite des


Deutscher Bundestag 17.03.2016

Kerstin Tack (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Recht behinderter Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen ist nicht nur unser Anliegen, sondern auch unsere Verpflichtung, die wir uns mit der Ratifizierung – einfacher ausgesprochen: mit der Unterzeichnung – der UN-Behindertenrechtskonvention zum Auftrag gemacht haben. Da ist es natürlich ganz besonders wichtig, dass Institutionen des Staates, seine Verwaltung und seine Behörden einer besonderen Verantwortung unterliegen, genau diese Teilhabe in ihren eigenen Organisationen vorbildhaft selber umzusetzen, bevor man es von anderen verlangt.

Ich freue mich deshalb, dass wir mit dem weiterentwickelten Behindertengleichstellungsgesetz – wir haben es schon gehört: 14 Jahre hat es kaum Veränderungen erfahren – jetzt über Neubauten und andere Bauten hinaus endlich auch die Bestandsbauten erfassen und dass sowohl vonseiten des Bundes als auch vonseiten der Länder, wenn sie denn Bundesaufgaben ausführen, auf Barrierefreiheit hingewirkt wird. Das betrifft zum einen bauliche Barrieren, aber auch informationelle Barrieren. Das ist, denke ich, ein wirklich großer Fortschritt. Man kann ihn kleinreden und meinen, das wäre ja alles nichts. Wer sich aber anschaut, über wie viele Bauten, über wie viele Einrichtungen, über wie viele Informationskanäle wir reden, der erahnt, dass das eine wirklich große Herausforderung ist, der sich der Bund mit seinen Behörden und seinen Institutionen jetzt stellt.

(Beifall bei der SPD)

Wir behandeln diesen Gesetzentwurf heute in der ersten Lesung und werden im weiteren parlamentarischen Verfahren unsere Vorstellungen, wie wir dieses Gesetz noch weiterentwickeln können, beraten. Da wird sicherlich auch der Punkt zur Diskussion stehen, ob die Anforderung, bis zum Jahre 2021 zu dokumentieren, wo denn Barrieren bestehen, ausreichend ist oder ob wir über kürzere Fristen reden müssen. Ganz sicher wollen wir nicht nur eine Auflistung der Barrieren, sondern auch einen verbindlichen und überprüfbaren Zeitplan mit Maßnahmen zur Beseitigung der dokumentierten Barrieren. Das ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit, der wir uns im parlamentarischen Verfahren bei der Diskussion um dieses Gesetz werden stellen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Bundesfachstelle, die wir jetzt nicht nur schaffen, sondern die wir auch personell sehr stark ausstatten, wollen wir mehr als das, was bisher möglich war; denn wir wollen, dass sich nicht nur die Verwaltung selber, sondern auch die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft, die vielen Verbände und Organisationen an diese Stelle wenden können und Unterstützung bei ihren Maßnahmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit bekommen. Wir wollen auch, dass gerade das Instrument der Zielvereinbarungen, also das, was die private Wirtschaft in ihren eigenen Unternehmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit vereinbaren kann, künftig in Unterstützung mit dieser Bundesfachstelle passiert. Das ist neu. Das ist mehr, als wir bisher haben. Wir glauben, dass es eine wirklich große Herausforderung und ein ganz wesentlicher Schritt ist.

(Beifall bei der SPD)

Da die Opposition an keiner Stelle auf die Schlichtungsstelle, auf die Bundesfachstelle oder auf den Fonds eingegangen ist, gehe ich davon aus, dass das ihre Unterstützung findet. Ja, das ist ein erster Schritt. Wenn wir uns die Verpflichtung der Privaten ansehen, so glaube ich, es gibt niemanden, auch hier im Deutschen Bundestag nicht, der nicht sagen würde, auch Private müssen sich nach und nach ihrer Verantwortung für einen barrierefreien Zugang durch die Person selber, aber auch für einen barrierefreien Zugang zu den Produkten, die privat angeboten werden, stellen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schreiben Sie es doch ins Gesetz!)

Aber zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört auch, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen – gerade vor anderthalb Wochen hat der Bundesrat genau dieses Anliegen als nicht unterstützenswert verworfen –, dass wir genau bei diesem Thema noch relativ viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben, und zwar quer durch alle unsere Parteien; da kann sich aktuell überhaupt keiner zurücknehmen.

(Beifall der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD])

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Markus Kurth?

Kerstin Tack (SPD):

Na klar.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Frau Tack, dass Sie dies zulassen. – Ich habe jetzt doch aufgemerkt. Sie sagten, wir müssen quer durch alle Fraktionen Überzeugungsarbeit leisten. Mir ist aufgefallen, dass bei den entsprechenden Redepassagen von Frau Bentele zur Privatwirtschaft fraktionsübergreifend von der Linken bis hin zur CDU/CSU geklatscht worden ist. Es ist auch geklatscht worden, als Frau Bentele von der Kraft des Parlaments gesprochen hat. Das hat in gewisser Weise der Kollege Uwe Schummer eben noch einmal aufgegriffen, als er irrtümlich vom „Kauder’schen Gesetz“ – ich nehme an, er meinte das Struck’sche Gesetz – sprach,

(Beifall bei der SPD)

dass das Parlament vorliegende Gesetzentwürfe verändern kann. Was also wäre stärker überzeugend und trotz des erkennbaren Widerstands des Bundesrats besser tauglich, eine Debatte und Verhaltensänderungen anzuregen, als jetzt im parlamentarischen Verfahren entsprechende Änderungsanträge zur verbindlicheren Verpflichtung der Privatwirtschaft aufzunehmen? Darf ich bei diesem Bekenntnis zur Verpflichtung der Privatwirtschaft, das hier durch Applaus und verbal zum Ausdruck gekommen ist, daraus schließen, dass Sie entsprechenden Änderungsanträgen, wenn wir sie einbringen, zustimmen oder sogar selbst in die Vorhand gehen und entsprechende Änderungsanträge stellen? Dürfen wir uns darauf im parlamentarischen Verfahren freuen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Kerstin Tack (SPD):

Ja, wir dürfen uns darauf freuen, dass wir über diese Frage im parlamentarischen Verfahren selbstverständlich reden werden. Ich werde gleich noch sagen, wie wir uns vorstellen die Privaten noch stärker in die Pflicht zu nehmen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Bundesgesetz nur dann seine Wirkung erzielen kann, wenn es sowohl im Bundestag wie im Bundesrat eine Mehrheit bekommt. Da wir gerade vor anderthalb Wochen zur Kenntnis haben nehmen müssen, dass mindestens die eine Hälfte der notwendigen Mehrheit nicht steht, heißt das nicht, dass wir nicht darüber reden. Es heißt aber, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir aktuell mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keinem Gesetz kommen, in dem wir die Privaten in dieser Art und Weise verpflichten können. Ich finde, auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es ist in der Tat so, dass auch die Verpflichtung von Privaten aus unserer Sicht auf die Tagesordnung gehört. Ja, das gehört sie. Die Frage wird sein: Welcher Rahmen eignet sich eigentlich, um Private stärker zu motivieren, zu unterstützen und da, wo nötig, zu verpflichten, sich auch zu beteiligen, sich mit einzubringen? Deshalb ist es gut, dass wir uns im Rahmen der Evaluation des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes, AGG, deren Ergebnisse wir im Sommer dieses Jahres erwarten, also da, wo es hingehört – denn eine entsprechende Regelung gehört, wie auch Frau Bentele gerade gesagt hat, ins AGG –, mit genau dieser Problematik beschäftigen werden. Wir würden das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gern mit einer entsprechenden Verpflichtung versehen.

Wir erwarten auch – das freut uns – eine EU-Richtlinie, die die Verpflichtung Privater zum Ziel hat. Die EU-Richtlinie ist bereits eingebracht worden, und sie hat die Angleichung der Kriterien für Barrierefreiheit bei Produkten und Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten zum Ziel. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, gilt eben auch: Es ist noch viel besser, wenn wir nicht nur auf nationaler Ebene tätig werden, sondern, da wir im globalen Wettbewerb stehen, die Thematik des barrierefreien Zuganges europaweit regeln.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber die Bundesrepublik bremst doch!)

Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dieser Richtlinie dieses Ziel erreichen. Ich glaube, es eint uns alle, dass wir da besser werden wollen. Jetzt blinkt schon die Präsidentin.

(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Nein, die Präsidentin noch nicht! Erst der Knopf!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja.

Kerstin Tack (SPD):

Das ist schade; denn gerne hätte ich noch zitiert.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Nein.

Kerstin Tack (SPD):

Das mache ich auch nicht. Ich sage nur, was ich gerne getan hätte.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gerne hätte ich auch noch aus einem Bescheid zitiert und Ihnen damit dokumentiert, wie wichtig die leichte Sprache ist. Nicht nur wir, sondern auch viele andere – ich bin sofort fertig – verfassen ihre Dokumente nicht in leichter Sprache. Es freut mich total, dass wir das jetzt ändern. Ich glaube, nicht nur für Menschen mit Beeinträchtigungen, sondern auch für uns alle ist es richtig wichtig, dass wir Bescheide verstehen und nachvollziehen und uns bei Bedarf auch gegen sie wehren können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und CDU/CSU)