Deutscher Bundestag 14.06.2012

Rede der SPD-Bundestagsabgeordneten Kerstin Tack zum Antrag der Fraktion DIE LINKE

Unseriöses Inkasso zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher stoppen

Anrede,

wieder einmal geht es heute um unseriöse Inkassounternehmen. Ein Problem, dass inzwischen nahezu jedem hier bekannt sein sollte: Forderungen werden teilweise ungeprüft gestellt und dafür werden horrende Beträge verlangt, die die eigentliche Forderung teilweise überschreiten. Alle sind sich hier einig: So geht das nicht. Die Bundesjustizministerin hatte hierzu einen Gesetzentwurf erarbeitet. Ein Mißgeschick führte dazu, dass dieser Gesetzentwurf die Öffentlichkeit erreichte. Und obwohl der Gesetzentwurf tatsächlich eine Verbesserung der Verbraucher dargestellt hätte, liegt er nun auf Eis. Die in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommende Begrenzung des Streitwertes auf 500 Euro beispielsweise finde auch ich ein adäquates Mittel. Über weitere Details müsste man sich unterhalten.

Aber – und dieses „aber“ kommt ja inzwischen auch schon aus den eigenen Reihen der Koalition – Fernsehmoderatoren führen hierüber Nachgespräche – Aber meine Damen und Herren, der Gesetzesentwurf wurde bis heute nicht im Kabinett beschlossen. Die Regierung bleibt auch in diesem Punkt untätig. Anhalten, aufhalten, einstampfen. Schade um die Kapazitäten der Ministerien.

Wenn wir nun also darüber reden, wie wir die schwarzen Schafe unter den Inkassounternehmen an die Kandare legen wollen, dann müssen wir uns klar machen, wo die Probleme liegen. Mit dem Begriff Inkasso bezeichnen wir das Eintreiben fremder Forderungen. Wenn wir den Normalfall anschauen, ist das auch unproblematisch: Ein Kunde bezahlt die Rechnung nicht, also soll er hierzu verpflichtet werden. Problematisch wird es aber – und deswegen unterhalten wir uns hier und heute darüber – wenn zweifelhaft ist, ob die Forderung überhaupt besteht oder, wenn für das Eintreiben der Forderung deutlich mehr Geld verlangt wird, als die Forderung selbst wert ist.
Schauen wir uns beispielsweise Abmahnungen im Urheberrechtsbereich an: Der Verein gegen den Abmahnwahn e.V. hat im Jahr 2011 über 218 000 Abmahnungen mit einem Gesamtforderungsvolumen von über 165 Millionen Euro geschätzt. Wenn diese Schreiben alle bezahlt worden wären, so hätte jedes über 750 Euro gekostet.
Der Verein geht von einer Zahlungsquote von 40 Prozent aus. Das heißt, 218.000 Abmahnungen ergeben 66 Millionen Euro. Pro versandtem Brief ergibt das immer noch etwas mehr als 300 Euro. Über 300 Euro für ein maschinell erstelltes Aufforderungsschreiben mit dem jemand gebeten wird, ein Verhalten künftig zu unterlassen. Das ist problematisch. Deshalb unterstütze ich die Forderung, die auch im heute zur Debatte stehenden Antrag enthalten ist, Inkassogebühren für den Regelfall zu deckeln, ausdrücklich.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch einmal darauf hinweisen, dass es bei einer solchen Abmahnung weder um einen Schadenersatz geht, den der oder die Abgemahnte bezahlen soll, noch um eine strafrechtliche Sanktion. Für beides haben wir andere Vorschriften. Hier geht es lediglich darum, ein Verhalten abzumahnen, sodass dies künftig unterlassen wird. Hohe Gebühren sind da nicht angebracht.

Probleme gibt es auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei Vertragsschlüssen aufgrund von Telefonwerbungen. Die Telefonate haben manchmal noch nicht einmal stattgefunden, was die Unternehmen nicht immer davon abhält diese Forderungen – ohne jede Vertragsgrundlage – durchsetzen zu lassen. Die Inkassounternehmen prüfen nicht, sondern ziehen den Betrag sofort ein. Cary Grant sagte einmal:„Mach deine Arbeit und verlange deine Bezahlung – aber bitte in dieser Reihenfolge“. Diese Reihenfolge wird aber eben genau nicht eingehalten. Vielmehr fordern unseriöse Inkassounternehmen Gelder ein, ohne geprüft zu haben, ob sie dazu überhaupt berechtigt sind. Die Arbeit überlassen sie erst einmal den Verbraucherinnen und Verbrauchern und gucken, ob die sich gegen die Forderung wehren. So kann das aber nicht weitergehen.

Wir müssen Verbraucherinnen und Verbraucher davor bewahren, dass Unternehmen unberechtigte Forderungen stellen.

Um Verbraucherinnen und Verbraucher vor unseriösem Inkasso zu schützen müssen daher folgende Eckpunkte gesetzlich verankert werden:
Die Gebühren müssen begrenzt werden. Mehr als 100 Euro für ein erstes, einfaches Aufforderungsschreiben sind unverhältnismäßig. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders bei Abmahnungen mit Unterlassungsandrohungen. Man muss sich doch einmal anschauen, worum es hier geht: Unterlasse das, sonst wird es teuer! Das ist die Aussage einer Abmahnung. Und nicht: Zahle teures Geld, weil Du etwas falsch gemacht hast.

Zweitens brauchen wir ein breiteres Sanktionsspektrum gegen die schwarzen Schafe unter den Inkassounternehmen. Es kann doch nicht angehen, dass Forderungen ohne die Prüfung, ob sie überhaupt bestehen könnten, durchgesetzt werden. Wenn so etwas passiert, dann muss die Aufsicht auch mal ein Bußgeld verhängen dürfen. Und wenn so etwas häufig passiert, dann muss es auch möglich sein, das Unternehmen zu schließen.

Drittens müssen wir die Verbraucherzentralen zu einem Finanzmarktwächter ausbauen. Wir brauchen ein Organ im Markt, das Fehlverhalten aufdeckt und erkenntlich macht. Die Verbraucherzentralen bieten die Infrastruktur um Marktmissstände frühzeitig zu erkennen. Sie stehen im direkten Austausch mit Verbraucherinnen und Verbrauchern. Über ihr breites Netz an Verbraucherzentralen einerseits, aber auch über online-Plattformen andererseits, kann sich nahezu jede deutsche Verbraucherin und jeder deutsche Verbraucher mit Problemen einfach an die Verbraucherzentralen wenden. Die zum Marktwächter erstarkten Verbraucherzentralen könnten Probleme am Markt filtern und an eine schlagkräftige Aufsicht weitergeben. Dann brauchen wir keine bürokratisch organisierte Verbraucherbehörde, wie sie im vorliegenden Antrag gefordert wird. Wir wollen eine bürger- und marktnahe Einrichtung, die die Probleme der Verbraucherinnen und Verbraucher kennt.

Viertens muss gewährleistet sein, dass alle Bereiche des Finanzmarktes einer schlagkräftigen Aufsicht unterstellt sind. Das muss auch für Inkassounternehmen gelten. Die Zivilgerichte können diese Aufgabe nicht leisten. Ihre Aufgabe ist das Wachen über Rechtsdienstleistungen. Ihre Struktur ist über das gesamte Bundesgebiet verteilt.
Traditionell kam es bei Inkassounternehmen genau auf diese Art der Aufsicht an. Denn Inkassounternehmen sollten fremde Forderungen einziehen. Sie sollten eine rechtsnahe Dienstleistung erbringen. Heute zeigt sich aber, dass es auch auf die inhaltliche Arbeit der Unternehmen ankommt. Die Aufsichtsbehörde muss im Zweifel eben auch beachten und beobachten, ob ein Inkassounternehmen Forderungen überprüft hat bzw. Sanktionen verhängen, wenn das nicht der Fall war. Für eine solche Überprüfung bedarf es einer schlagkräftigen Aufsicht, die Missständen nachgehen und diese sanktionieren kann. Die Zivilgerichte sind hierzu weder strukturell noch personell in der Lage.

Erst wenn wir ein solches Gesamtkonzept verabschiedet haben, wird sich der Markt regulieren. Das Zusammenspiel von Marktwächter und Aufsichtsbehörde ist dabei der entscheidende Schlüssel, um eine effiziente Kontrolle des Marktes ohne zu gravierende Einschnitte zu gewährleisten. Denn der Marktwächter beobachtet den Markt aus der Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher. Er ist eine Bündelung der vielen schwachen Einzelinteressen, die unter ihm versammelt werden. Er schaut sich an, wo Defizite bestehen und diese meldet er an die Aufsicht. Diese ist wiederum alleinige Sanktionsbehörde. Sie prüft, entscheidet und verhängt gegebenenfalls Sanktionen gegen unseriöse Marktteilnehmer.

Dieses Marktwächtermodell berücksichtigt die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher ohne eine übermäßige Regulierung. Es ist günstiger und effektiver als die Schaffung einer Behörde. Und ein Marktwächter hat deutlich bessere Handlungsmöglichkeiten um präventiv vorzubeugen. Verbraucherinnen und Verbraucher können ohne große Hemmungen mit dem Marktwächter kommunizieren und sich über Gefahren und Missbrauchsmechanismen des Marktes kundig machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, mit einem ausbalancierten Rechte und Pflichtensystem, mit einer schlagkräftigen Aufsicht und mit einem Marktwächter, der die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick hat, können wir auch unseriöses Inkasso langfristig eindämmen.

Vielen Dank.