Erklärung nach §31 GO BT der Abgeordneten Kerstin Tack (SPD)

zu den Anträgen der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksache 18/9663), der Fraktion DIE LINKE „Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA stoppen“ (Drucksache 18/9665), sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN „Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ablehnen“ (Drucksache 18/9621)

Müsste ich heute über das Freihandelsabkommen mir Kanada „CETA“ abstimmen, ich würde ablehnen. Aber heute wird nicht über den Vertragstext des Abkommens CETA abgestimmt.

Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat der EU, den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu geben.

Die Anträge der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN simulieren Entscheidungsfähigkeit im Nichtwissen. Damit machen sie sich in der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet MoveOn in den USA), ver.di Mitgliedern und anderen, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, wissen dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen.

Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach gut ist. In vielen anderen, häufig genug einfach kopierten Briefen, wurde ich um Ablehnung gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprinzips. Es wurde viel spekuliert… Bevor nicht der endgültige Vertragstext mit seinen rechtsförmlich wesentlichen Ergänzungen zur Beschlussfassung im Bundestag vorliegt, können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze ebenso wenig begründen, wie die anderen ihre Befürchtungen.

Deshalb meine stereotype Antwort: Wenn sich alle Hoffnungen der Befürworter durch den Vertragstext bestätigen lassen, stimme ich zu. Wenn sich alle Befürchtungen derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die mich auffordern abzulehnen, bestätigen, lehne ich ab. Das entscheide ich endgültig, wenn entscheidungsreife Vorlagen den Bundestag erreichen.

Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre Hoffnung gewöhnt, wie die anderen an ihre Befürchtung, dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum wahrgenommen werden und man fest im einmal gefällten Urteil stecken bleibt.

Anders als DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, die schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsabkommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen sind, haben SPD und SPD Fraktion einen tiefen Diskussions- und Abwägungsprozess angestoßen und organisiert. In diesem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel wesentlich getragenen Prozess, wurde der Vertragstext in seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Zielen so verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in pro und kontra zusammen geführt werden. Wer diese Veränderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese Änderungen dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft dienen. Dazu gab es einen großen SPD Konvent, auf dem die „roten Linien“ für eine Zustimmung zu den aktuellen Freihandelsabkommen beschlossen haben.

Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungsergebnis gegenüber den früheren Fassungen essentielle Verbesserungen enthält, insbesondere die Einführung eines öffentlichen Handelsgerichtshofes (statt Schiedsgerichtsbarkeit), auch wenn Bereiche der Öffentlichen Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Gesundheit nun speziellen Schutzregeln unterliegen, würde ich heute noch nicht zustimmen. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, Vertragstexte erst dann zu beschließen, wenn sie endgültig vorliegen. Ein Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw. Verhandlungspartner mühelos akzeptieren kann.

Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Koalitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen sein werden:

  • Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der Arbeitnehmerrechte bekennen und ( ) verpflichten, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu unternehmen.“, so wäre doch von Interesse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden oder nicht.
  • Oder wenn „Im weiteren Prozess ( ) unbestimmte Rechtsbegriffe geklärt werden.“ müssen, so wäre auch hier noch zu verstehen, ob das gemeinsame Verständnis dieser Klärung auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung stößt.
  • Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht eingeschränkt und auch künftig nicht angetastet werden. Es muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf.“ begrüße ich sehr. Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Vertragswerk rechtlich fixiert sein um später streitanfällige Interpretationen zu vermeiden.
  • Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Restzweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips nicht unmissverständlich klar gestellt sei: „Hohe Umwelt- und Verbraucherstandards müssen gewährleistet bleiben. Das im europäischen Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip bleibt von CETA unberührt. Dies muss unmissverständlich klar gestellt werden.
  • Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag begrüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der Europäischen Kommission und der Bundesregierung im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindliche Klärungen der noch offenen Fragen herbeizuführen und setzt sich gleichfalls hierfür ein.“ ergibt sich die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärungen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingearbeitet werden.

Die Übersichtlichkeit und Bürgerfreundlichkeit des ohnehin schon komplexen und langen Vertragstextes wird durch weitere Regelungen und Vereinbarungen außerhalb des Vertrags weiter gemindert.

Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen unmittelbar vor der heutigen Entscheidung, zitiere ich nachfolgend aus einer Information meines Kollegen Matthias Miersch:

„Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA gestimmt, wie viele schreiben. Sie hat einen Antrag verabschiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt. Wir haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Maßstab für jeden SPD Abgeordneten sind. Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht zustimmen:

  • Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf die Rechtstatbestände, wie z.B. ‚faire und gerechte Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden.
  • Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV) abweicht.
  • Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt werden. Die acht ILO Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden.
  • Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.“

    Soweit das Zitat.

Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksache 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages:

„Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden.“

Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat der EU, den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu geben.

Berlin, den 22. September 2019

Kerstin Tack


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