Rede von Kerstin Tack im Deutschen Bundestag am 24. September 2015

Quelle: "Deutscher Bundestag"

Das Video zur Rede finden Sie auch auf der entsprechenden Seite des


Rede Kerstin Tack

Deutscher Bundestag 24.09.2015

TOP 6

Antrag CDU/CSU + SPD Koalition

Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ers­ten Arbeitsmarkt eröffnen

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jetzt kommen wir zu einem wirklich guten Thema, nämlich zum Aus­bau der Integrationsbetriebe in Deutschland. Die rund 850 Integrationsbetriebe, die wir derzeit in Deutschland haben, sind eine wahre Erfolgsgeschichte.

Sie sind 2001 von der damaligen schwarz-, nein, rot-grü­nen Regierung – herrje! – im damals neuen SGB IX verankert worden, um Men­schen mit einer wesentlichen Behinderung eine Arbeits­möglichkeit im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt zu bie­ten.

Heute sind die, – wie gesagt, – rund 850 Integrations­betriebe in Deutschland, die zwischen 25 und 50 Prozent Menschen mit wesentlicher Behinderung beschäftigen, Wirtschaftsunternehmen mit einer ganz besonderen so­zialen Aufgabe.

Von den rund 22 000 Beschäftigten insgesamt sind etwa 10 000 Beschäftigte mit wesentlicher Behinderung. Es ist uns ein großes Anliegen, in dieser Legislatur den inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit wesentlicher Behinderung auszubauen und ihnen die Möglichkeit zu geben, aus unterschiedlichen Angeboten am Arbeits­markt auszuwählen.

Da haben wir auf der einen Seite die sehr beschützten Werkstätten für behinderte Menschen. Wir haben auf der anderen Seite den allgemeinen Arbeits­markt, auf dem wir mit Lohnkostenzuschüssen und mit Mitteln zum Umbau des Arbeitsplatzes massiv Unterstüt­zung leisten, und wir haben die Integrationsbetriebe als Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes. Wir erleben, dass es heute zum Glück mehr Anträge auf Unterstützung, Ausbau und Weiterentwicklung der Integrationsbetriebe gibt, als wir in den letzten Jahren Mittel zur Verfügung gestellt haben. Wir wollen diesen Ausbau vorantreiben. Deshalb ist es gut, dass wir heute den Beschluss fassen wollen, den Integrationsämtern, die für die Förderung in den Ländern zuständig sind, innerhalb der nächsten drei Jahre 150 Millionen Euro zum Ausbau genau dieser so wesentlichen und wichtigen Betriebe an die Hand zu ge­ben. Sie sind ein Baustein des inklusiven Arbeitsmarktes.

Wir haben in dieser Legislatur noch mehr vor. Aber ein wesentlicher Meilenstein wird heute mit diesem An­trag erreicht. Wir möchten, dass auch die Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt, aus dem sie in der Re­gel kommen, eine Weiterbeschäftigung finden können, künftig in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder in einem Integrationsbetrieb eine Beschäftigung erhalten, entweder ganztags, halbtags oder – auch das verändern wir – als Zuverdienstbeschäftigung mit zwölf Stunden pro Woche. Denn für viele ist eine Arbeit in Halb‑oder Vollzeit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht leistbar. Momentan liegt die Grenze für den Zuverdienst in den Integrationsbetrieben bei 15 Wochenstunden. Aber das ist für viele zu viel auf dem Weg der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Deshalb werden wir mit diesem Antrag diese Grenze auf zwölf Stunden reduzie­ren, damit noch mehr Menschen die Möglichkeit haben, im Rahmen des ersten Arbeitsmarktes einen Einstieg zu erhalten. Ich glaube, das ist richtig.

Im Rahmen der neuen Vergaberichtlinie werden wir vorsehen, dass wir die Integrationsbetriebe, die wir für besonders wichtig und unterstützungswürdig halten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugen können. Wenn eine Kommune, ein Landkreis, ein Land oder der Bund öffentliche Aufträge zu vergeben hat, dann können Integrationsbetriebe vorrangig von diesen Aufträgen pro­fitieren; denn sie sind ja ganz besonders schützenswert und unterstützungswürdig. Das ist auch richtig und gut so. Damit stärken wir die Wirtschaftskraft genau dieser Unternehmen.

Viele fragen: Was passiert, wenn die drei Jahre um sind, die Anschubfinanzierung von 150 Millionen Euro verbraucht ist und wir dann weiteres Geld benötigen? Wenn das der Fall ist, wovon wir ausgehen, werden wir ab 2018 auch hierfür eine Lösung benötigen. Dieser Pro­blematik sind wir uns bewusst. Ich glaube, angesichts der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die wir damit schaffen, werden wir auch die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

In unserem Antrag fordern wir auch, zu prüfen, ob weitere Zielgruppen in den Integrationsbetrieben künf­tig Arbeitsmöglichkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten können. Insbesondere die Langzeitarbeitslosen könnten eine solche Zielgruppe sein.

Aber wir sind vorsichtig und sagen: Sie dürfen auf keinen Fall auf die Quote der behinderten Menschen angerech­net werden. Wenn im Einzelfall auch Langzeitarbeitslose in diese Betriebe hineinkönnen, dann dürfen für sie nicht die Fördergelder, die für Menschen mit Behinderung vorgesehen sind, ausgegeben werden; vielmehr muss das aus Mitteln der BA erfolgen.

Wir haben in dieser Legislatur noch mehr für den all­gemeinen und inklusiven Arbeitsmarkt vor. Wir merken, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen häufig nicht wissen, welche Unterstützungsmöglichkei­ten sie bekommen können, wenn sie jemanden mit we­sentlicher Behinderung einstellen, welche Möglichkeiten sie beim Lohnkostenzuschuss haben, was ihnen die öf­fentliche Hand zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes gibt, und vieles mehr. Deshalb haben wir zum Beispiel mit der Kampagne „Wirtschaft inklusiv“ Extragelder zur Verfü­gung gestellt, damit genau diese Klarstellung erfolgen kann. Wer nicht weiß, dass und wie er unterstützt wird, hat auch größere Schwierigkeiten damit, sich für die Ein­stellung schwerbehinderter Menschen zu entscheiden.

Ich will auch sagen, dass es gut ist, dass die Bundesre­gierung bereits vor einigen Monaten entschieden hat, die Mittel für 10 000 Plätze für unterstützte Ausbildung zur Verfügung zu stellen, damit assistierte Ausbildung – von der Schule in die Ausbildung – auch für die Personen­gruppe der wesentlich behinderten Menschen erfolgen kann. Das ist ein richtiges, ein gutes Zeichen. Wir ver­stehen Inklusion so, dass wir Menschen mit Behinderung mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in den ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren wollen, und zwar so viele wie möglich.

Heute machen wir einen ganz wesentlichen Schritt in diese Richtung. Ich freue mich, dass wir uns fast alle ei­nig sind. Ich finde es richtig schade, dass sich die Linke nicht entscheiden kann, den Ausbau der Integrationsbe­triebe zu unterstützen.

Herzlichen Dank.