30.09.2011 - "Whistleblower"
Rede von Kerstin Tack am 30.09.2011
Quelle "Deutscher Bundestag"
Das Video zur Rede finden Sie auch auf der entsprechenden Seite des
Kerstin Tack, SPD TOP 33, 30.09.2011
Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,
Brigitte Heinisch war eine verantwortungsbewußte Mitarbeiterin. Als sie wegen Personalmangels ihre Arbeit in einem Berliner Pflegeheim nicht mehr korrekt erledigen konnte, informierte sie das Management. Als es immer schlimmer wurde, hielt sie nach außen still, lehnte aber intern die Übernahme jeder Verantwortung ab. Als sie überarbeitet war, ging sie zuerst zum Arzt, später zum Anwalt. Dieser wandte sich an die Heimleitung, nichts passierte, anderthalb Jahre lang, obwohl auch der medizinische Dienst der Krankenkassen die Pflegemängel beanstandet hatte. Daraufhin zeigte sie ihren Chef an, und wurde entlassen, aus wichtigem Grund.
Erfolglos versuchte sie, in Deutschland gerichtlich gegen die Kündigung vorzugehen.
Jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihr Recht gegeben und Deutschland wegen Verletzung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit verurteilt und ihr Entschädigung zugesprochen.
Zwar hätten die Vorwürfe gegen das Pflegeheim rufschädigende Wirkung, so der Straßburger Gerichtshof. Jedoch sei in einer demokratischen Gesellschaft das öffentliche Interesse an Information über Mängel in der Altenpflege in einem Unternehmen so wichtig, dass es gegenüber dem Unternehmensinteresse überwiege.
Eine knallende Ohrfeige für die Deutsche Bundesregierung, denn das Urteil richtet sich gegen den Staat, dem eine Entscheidung zuzurechnen ist, hier also gegen die Bundesrepublik und nicht gegen das Pflegeheim.
Die Bundesregierung hat es trotz ständiger Aufforderungen durch die Opposition versäumt, einen wirksamen Schutz für „Whistleblower“, also für Menschen, die auf Missstände in ihrem Betrieb hinweisen, gesetzlich zu verankern.
Wir kennen alle die Fälle, in denen engagierte und couragierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Anzeigen von Missständen in ihren Betrieben Skandale offengelegt oder auch verhindert haben.
- Der Lkw-Fahrer, der 2007 den Gammelfleischskandal ins Rollen brachte,
- die Prokuristin, die Verstöße der damaligen DG-Bank gegen Insiderregeln publik machte,
- der Revisor, der auf gefälschte Statistiken der Arbeitsämter aufmerksam machte:,
- Sie alle verloren ihre Jobs!
International gesehen ist Deutschland beim Schutz der Informanten längst abgehängt. Ob in der Parlamentarischen Versammlung der Europarats, in der Europäischen Sozialcharta, beim G-20-Gipfel in Seoul, überall werden wirksame Vorkehrungen für Whistleblower eingefordert.
Andere Länder sind längst weiter. Spezielle gesetzliche Regelungen zum Informantenschutz kennen u.a. Großbritannien, Belgien, Frankreich, Norwegen, Rumänien, Niederlande oder die USA.
2008 legte der damalige Landwirtschafts- und Verbraucherminister Seehofer gemeinsam mit Olaf Scholz und Brigitte Zypries nach dem bereits erwähnten Gammelfleisch-Skandal einen Entwurf zur Stärkung des Informantenschutzes vor, dieser wurde aber von der CDU/CSU-Fraktion damals zurückgepfiffen.
Dies war schon deshalb so daneben und peinlich, weil der Bundesverbraucherminister Seehofer den LKW-Fahrer am 05.10.2007 mit der goldenen Plakette des Bundeslandwirtschaftsministeriums ehrte für sein couragiertes Verhalten. „Die Auszeichnung solle Bewusstsein bilden und präventiv wirken“, so Seehofer damals.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Fraktion hat immer wieder, insbesondere auch als Maßnahme im Zusammenhang mit dem Dioxin-Skandal Anfang diesen Jahres auf die Notwendigkeit eines Informantenschutzgesetzes hingewiesen und in ihren Anträgen formuliert. Und wieder kam aus den Reihen der CDU/CSU- und FDP-Fraktion, dass dies alles Teufelszeug sei und zu Denunziantentum führe.
Ich frage Sie von den Regierungskoalitionen:
- Warum geht ihrer Meinung nach der Schutz des Leiters des Pflegeheimes von Frau Heinisch vor den Schutz der pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren und des Pflegepersonals?
- Warum geht ihrer Meinung nach der Schutz des Fleischbetriebes, der vergammeltes Fleisch ausliefern wollte und damit unabsehbar viele Menschen hätte krank machen können vor den Schutz ebendieser und vor den Schutz des Mitarbeiters, der die Behörden über das vergammelte Fleisch in seinem Wagen aufmerksam machte?
Wie wollen Sie den mit recht fragenden betroffenen oder geschädigten Menschen antworten.
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates hat in seiner Sitzung am 26.09.2011 einen Antrag des Landes Berlin zur gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes im BGB beschlossen und die Bundesregierung aufgefordert, hier tätig zu werden.
Auch das Europäische Parlament hat in einer Entschließung vom 15.09.2011 beschlossen, weitere Maßnahmen zum Schutz von Informanten zu ergreifen.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird in Kürze einen eigenen Gesetzesentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen.
Klar ist, wir brauchen endlich ein Informantenschutzgesetz. Dieses muss klar regeln:
- wann ein Missstand vorliegt, also eine klare Definition?
- in welcher Form Missstände geäußert werden können, nur schriftlich oder auch mündlich?
- ob sie auch anonyme Hinweise sein können!
- ob immer eine innerbetriebliche Meldung vorgeschaltet werden soll vor einer Meldung an eine Behörde oder die Öffentlichkeit und in welchen Fällen nicht?
- welchen Schutz die Hinweisgeber genießen sollen neben dem allgemeinen Kündigungsschutz. Muss es nicht auch einen Schutz vor Beeinträchtigungen von Entwicklungs- und Karrierechancen und den Schutz vor ungewollten Versetzung im Betrieb geben?
- muss geregelt werden, wer eigentlich die zuständige Behörde für Meldungen ist oder ist die Polizei zur Entgegennahme einer jeden Meldung im Zweifelsfall zuständig?
- Welche Schulungs- und Bildungspflichten obliegen den Dienstgebern um auf die Unzulässigkeit von Benachteiligungen hinzuweisen
- welche Rollen spielen Personal- und Betriebsräte
- Sollen innerbetriebliche Systeme freiwillig oder verpflichtend zur Aufnahme von Hinweisen auf Missstände eingeführt werden?
- Wie schnell muss der Hinweisgeber eine Rückmeldung über die Beseitigung des Missstandes erhalten, damit er sich an weitergehende Stellen wenden kann und wann bekommt er von dieser Stelle eine Rückmeldung?
- Wer berät und unterstützt Hinweisgeber rechtlich? oder
- Wer trägt die Beweislast?
Das Thema ist kein einfaches, aber ein notwendiges.
Der Fall von Frau Heinisch zeigt auf, wie mühselig innerbetriebliche Abläufe zu verändern sind. Es half ihr nur, auch um sich selber vor Vernachlässigungsvorwürfen der Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheimes zu schützen, sich an einen Anwalt zu wenden. Sie hat Schaden von sich und von den Bewohnerinnen und Bewohnern ferngehalten, was gut und richtig war.
Jetzt muss es endlich den Schutz von Hinweisgebern geben, er ist in allen Bereichen, aber insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich, im Lebensmittelbereich, und im Finanzbereich erforderlich, denn hier geht es um das Abwenden von Gefahren der körperlichen Unversehrtheit, von Krankheiten und Existenzen von Menschen.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, endlich tätig zu werden. Der Fachausschuss des Bundesrates und das europäische Parlament tun dies ebenfalls. Legen sie endlich ein Gesetz vor und schützen sie die Hinweisgeber endlich vor Kündigung und Benachteiligung.