Am 6. Juni 2011 fand die Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion „Verbraucherpolitik – Verbraucher zwischen Markt und Staat“ in Berlin statt. Mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren unserer Einladung gefolgt und diskutierten die Anforderungen an eine sozialverantwortliche Verbraucherpolitik in einer globalisierten Welt. Denn die Anforderungen, denen sich Verbraucher und Verbraucherinnen heute stellen müssen sind enorm und sehr komplex.

Und sie wollen dabei die richtige Wahl treffen, egal ob es sich um Lebensmittel, Elektrogeräte, Mobilfunkverträge oder Versicherungen handelt.

Vom Apfel bis zum T-Shirt, immer häufiger geht es neben dem Preis auch um Aspekte wie Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit. Die SPD-Bundestagsfraktion sind Handlungsbedarf. Der „richtige“ Konsum reicht hier nicht aus. Für eine nachhaltige Wirtschaft müssen Staat und Gesellschaft sorgen und die Unternehmen in die Verantwortung nehmen. Wir wollen wissen, wo die gesellschaftliche Kontrolle noch verstärkt werden muss und wie sich Verbraucher und Gewerkschaften gemeinsam für mehr Markttransparenz und faire Arbeitsbedingungen einsetzen können.

Das Programm der Veranstaltung:
Nach der Begrüßung durch Frank-Walter Steinmeier, der seine Rede unter das Motto „Der Markt muss den Menschen dienen“ gestellt hatte, folgte das Impulsreferat „die Verbraucherdemokratie“ von Prof. Dr. Frank Nullmeier von der Universität Bremen. Daran schloss der Redebeitrag unseres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ulrich Kelber unter dem Titel „Verbraucheralltag zwischen Selbstbestimmung und Überforderung an.

Anschließend hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, sich an den Diskussionen in einer von drei Arbeitsgruppen zu beteiligen:

AG1: Wie entscheiden Verbraucher und welchen Einfluss haben sie auf den Markt?
Mit: Dr. Günter Hörmann, Verbraucherzentrale HH, Prof. Dr. Andreas Oehler, Uni Bamberg, Dr. Werner Brinkmann, Stiftung Warentest, Moderation: Elvira Drobinski-Weiß, MdB

AG 2: Verbraucher und Gewerkschaften: Bündnispartner für einen fairen Markt?
Mit: Gerd Billen, VZBV, Franz-Josef Möllenberg, Gewerkschaft NGG, Kathrin Hartmann, freie Journalistin, Moderation: Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB

AG 3: Verbraucher auf den „Wohlfahrtsmärkten“ –Grenzen der Eigenverantwortung
Mit: Dr. Stefan Etgeton, VZBV, - Thomas Krause, Projektleiter „Altersvorsorge macht Schule“, PD Dr. Wolfram Lamping, Uni Göttingen, Moderation: Kerstin Tack, MdB

Auf die Präsentation der Ergebnisse der Arbeitsgruppen folgte am Ende gab Elvira Drobinski-Weiß, MdB, verbraucherpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion Impulse für die verbraucherpolitische Strategie der SPD-Bundestagsfraktion.

Großes Interesse an der Verbraucherpolitische Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion am 6.6.2011

Die „Verbraucher zwischen Markt und Staat“ standen im Mittelpunkt der Verbraucherpolitischen Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion am 6.6.11 in Berlin. Mit Blick auf die Erarbeitung ihrer Verbraucherpolitischen Strategie diskutierte die SPD-Bundestagsfraktion mit ca. 150 Teilnehmerinnen, Teilnehmern und Sachverständigen aus Forschung und Praxis: Wo muss der Staat den Markt regulieren und Verbraucher schützen? Wo kann auf die Eigenverantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher vertraut werden? Und welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft in diesem Spannungsfeld zwischen Markt und Staat?

Ausgehend von der Erkenntnis, dass es „den Verbraucher“ bzw. „die Verbraucherin“ nicht gibt, wurde diskutiert, wie Verbraucherpolitik den Konsumenten-Alltag erleichtern kann. Weil Verbraucher sehr verschieden sind und unterschiedlich agieren, ist die Einbeziehung von Beobachtungen aus der Verbraucherforschung wichtig. Sie kann helfen, Verhaltensweisen, Bedürfnisse, Kompetenzen und Schwächen von Verbrauchern zu identifizieren und damit die Basis für geeignete verbraucherpolitische Maßnahmen schaffen. Kritisiert wurde, dass die Politik das Potenzial der Verbraucherforschung zur Optimierung verbraucherpolitischer Maßnahmen und zur Unterstützung der Verbraucher bisher nicht genutzt hat. Seitens der Wirtschaft dagegen wird das Verbraucherverhalten seit langem intensiv erforscht – allerdings mit einem anderen Ziel: Verbraucher an sich zu binden und zum Kauf zu bewegen.

Lob gab es für den Vorstoß der SPD, die verbraucherbezogene Forschung zu stärken und als Möglichkeit, empirisches Wissen über das tatsächliche Verhalten von Verbrauchern zur Grundlage von Politik zu machen, zu nutzen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihren parlamentarischen Initiativen dafür gesorgt, dass das Thema Verbraucherforschung auf der politischen Agenda steht.
Die Experten mahnten eine stärkere Berücksichtigung der Verbraucherforschung nicht nur bei der Entwicklung von verbraucherpolitischen Regelungen sondern auch nach deren Einführung. So forderte Prof. Dr. Frank Nullmeier, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen, in seinem Einführungsvortrag: Die Politik müsse sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen messen und bereit sein, die Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf Verbraucher durch unabhängige Dritte prüfen zu lassen.

Nullmeier riet zum Verzicht auf ein einheitliches Leitbild des Verbrauchers. Verbraucherpolitik solle sich stattdessen an drei unterschiedlichen Verbrauchertypen orientieren:
- dem „verantwortungsvollen Verbraucher“, der sich informiert und bewusst auswählt;
- dem „vertrauenden Verbraucher“, der sich darauf verlässt, dass das Angebot stimmt;
- und dem „verwundbaren Verbraucher“, der mit dem Angebot am Markt überfordert ist
(z.B. weil es ihm an Geld, Bildung, Zeit mangelt).
Für alle Verbrauchertypen müssen Lösungen angeboten werden, denn auf allen drei Ebenen gibt es Handlungsbedarf.

Die „Verwundbarkeit“ des Verbrauchers wurde besonders deutlich am Beispiel der Wohlfahrtsmärkte. Gerade in Bereichen wie z.B. der Gesundheits- und der Altersvorsorge können Fehlentscheidungen Verbraucher in existenzielle Nöte bringen. Hier zeigen sich die Grenzen der Eigenverantwortung. Die Experten waren sich einig, dass der Staat für ein Mindest-Schutzniveau sorgen muss, um im Falle falscher Entscheidungen die „Fallhöhe“ zu begrenzen. Außerdem sollten Verbraucher „fit“ gemacht werden für solche komplizierten und schwerwiegenden Entscheidungen: Durch entsprechende Aufklärung bzw. Verbraucherbildung sollten sie in die Lage versetzt werden, Angebot und Tragweite ihrer Entscheidung abschätzen zu können.

Gewarnt wurde vor einer Überforderung der Verbraucher. Das Leitbild der „Mündigkeit“ des Verbrauchers – an dem CDU und FDP immer noch festhalten – sei demokratisch zweifelhaft. Kathrin Hartmann, Autorin des Buchs „Ende der Märchenstunde“ verwies darauf, dass diese Mündigkeit von Einkommen, Bildungsstand und sozialer Herkunft abhängig ist.
Die Sachverständigen waren sich einig, dass wichtige gesellschaftspolitische Fragen wie Sozialstandards und gerechte Arbeitsbedingungen oder Umweltschutz nicht durch nachhaltigen Konsum bzw. den „richtigen Einkauf“ gelöst werden können. Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Im Kampf gegen unfaire Wirtschaftspraktiken, unverantwortliches Unternehmensverhalten, unsoziale Arbeitsbedingungen, Dumpinglöhne oder klimaschädliche Produktionsweisen ist die Politik gefragt. Die "Abstimmung an der Wahlurne" ist nicht durch den Einkaufskorb ersetzbar. Verbindliche Regelungen wie z.B. Mindestlöhne, sind unverzichtbar. So wurden zwischen Arbeitnehmervertretern und Verbrauchervertretern Interessens-Überschneidungen festgestellt. Für eine Politik, die sich stärker am gesellschaftlichen Gemeinwohl ausrichtet, empfahlen die Experten eine Orientierung an den Menschen in ihren drei Hauptrollen: Arbeitnehmern, Verbrauchern, Bürgern.

Die SPD-Bundestagsfraktion will bis Ende des Jahres ihre Verbraucherpolitische Strategie erarbeiten. Die in der Konferenz gewonnenen Erkenntnisse sollen dort einfließen. Deutlich geworden ist, dass verbraucherpolitische Maßnahmen die Bedürfnisse von verantwortungsvollen Verbrauchern (Information und Transparenz) genauso berücksichtigen müssen wie die von vertrauenden Verbrauchern (Wahrheit und Sicherheit) oder verwundbaren Verbrauchern (Schutz und Aufklärung). Sozialdemokratische Verbraucherpolitik muss Allen die Teilhabe ermöglichen.
Klar wurde auch, dass Fragen, die für das Gemeinwohl oder gar die Zukunft der Menschheit relevant sind wie Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Klimaschutz nicht in die Zuständigkeit des Verbrauchers verschoben werden dürfen. Sie sind politisch zu lösen.
Doch besonders durch die Beiträge aus dem Publikum wurde deutlich, was sich die Menschen von verbraucherpolitischen Maßnahmen versprechen: Sie sollen ihren Alltag, ihr Leben erleichtern. Die SPD wird sich dies zur Richtschnur nehmen und dabei die Potenziale der verbraucherbezogenen Forschung nutzen. Denn der Markt muss für die Menschen da sein und nicht umgekehrt.