Über das wichtige, aber schwierige und vielschichte Thema der Sterbehilfe und ihrer möglichen Neuregelung in Deutschland diskutierten am 10. März 2015 auf Einladung der hannoverschen SPD-Bundestagsabgeordneten und behindertenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Tack, in der vollbesetzten üstra-Remise viele interessierte Hannoveranerinnen und Hannoveraner.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, zugleich Mit-Autorin des Positionspapiers „In Würde leben, in Würde sterben“, war eigens aus Berlin angereist, um über ihre Position zur Sterbehilfe zu referieren. Fachkundigen Input leisteten auf dem Podium darüber hinaus Frau Dr. med. Cornelia Goesmann, Vorstandsvorsitzende der Bezirksstelle Hannover der Ärztekammer Niedersachsen, die die Position der Ärzteschaft zur Sterbehilfe darstellte, sowie Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann, der die Sichtweise der evangelischen Kirche in die Debatte einspeiste.

Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, sich viel Zeit zu nehmen, um über die Frage einer möglichen rechtlichen Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland umfassend und intensiv zu debattieren. Am 13. November 2014 sind die fraktionsübergreifenden Beratungen mit einer großen Orientierungsdebatte gestartet. Eine mögliche Beschlussfassung ist für Ende 2015 geplant.

Bis Ende 2015 ist daher nun auch Zeit für einen intensiven gesellschaftlichen Dialog. Diesem fühlte sich die Veranstaltung in der üstra-Remise verpflichtet. Daher stand nach den kurzen Eingangsstatements der Referentinnen und Referenten vor allem die Diskussion mit dem Publikum im Mittelpunkt.

Unabhängig von der Frage einer möglichen rechtlichen Neuregelung der Sterbehilfe müsse, so die Abgeordnete Eva Högl in ihren einführenden Bemerkungen, die Palliativmedizin ausgebaut und gestärkt und eine flächendeckende Versorgung mit Hospizen sichergestellt werden. Die bisherigen rechtlichen Regelungen zur Sterbehilfe hingegen hält die Juristin für ausreichend. Aus ihrer Sicht solle die Tötung auf Verlangen weiterhin strafbewehrt bleiben. Die Ärztinnen und Ärzte hätten ausreichend Handlungsspielraum am Ende des Lebens; es sei ihre Aufgabe, Leben zu erhalten, nicht Leben zu nehmen. Vorstellbar ist für Högl allerdings ein Verbot gewerblich agierender Sterbehilfevereine, deren Geschäftsmodell auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist.

Frau Dr. Goesmann wies in ihrem Statement darauf hin, dass aus ihrer Sicht das oberste Gut das Selbstbestimmungsrecht des Patienten bzw. der Patientin sei. Umso wichtiger sei es – darin war sie sich mit Högl einig –, dass der Patientenwille auch dann ermittelt werden könne, wenn der Patient bzw. die Patientin nicht mehr ansprechbar sei. In diesem Falle komme Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sowie den Hausärztinnen und Hausärzten, die den Patienten bzw. die Patientin über einen längeren Zeitraum medizinisch begleitet haben, eine besondere Rolle zu. Frau Dr. Goesmann unterstrich, dass die Berufsordnungen der Ärzte in den einzelnen Bundesländern bislang unterschiedliche Regelungen zur Suizidbeihilfe vorsehen. Grundsätzlich ist die Beihilfe zum Suizid in Deutschland vom Gesetzgeber straffrei gestellt. In Niedersachsen ist in der Berufsordnung der Ärzte jedoch eine verschärfte Regelung zu finden: Hier dürfen Ärzte keine Beihilfe zum Suizid leisten. Wer dies dennoch tut, muss befürchten, vor ein Berufsgericht geladen zu werden. In ihrer 30-jährigen Berufspraxis als Ärztin sei ihr gegenüber jedoch noch nie der Wunsch nach Beihilfe zum Suizid geäußert worden, so Frau Dr. Goesmann. Die palliativmedizinischen Möglichkeiten seien heute so weit fortgeschritten, dass niemand mehr unerträgliche Schmerzen erleiden müsse. Wichtig seien die intensive Begleitung im Sterben und eine stärkere Vernetzung der verschiedenen betreuenden Professionen. Jedes Sterben sei individuell – generalisierende Regelungen könnten dem Einzelfall nicht gerecht werden.

Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann betonte, dass die Haltung zum Leben auch die Haltung zum Sterben bestimme. Aus christlicher Perspektive sei das Leben als Geschenk zu betrachten – und zwar als Geschenk, das nicht nur goldene Tage beinhalte. Der Mensch müsse für das Leben einstehen und zu diesem gehörten auch Zweifel und Ängste, Trauer und Schmerz. Der moderne Mensch müsse sich von der Vorstellung verabschieden, das Leben sei in jeder Konsequenz planbar und absicherbar. Dies treffe weder für das Leben noch für das Sterben zu. Die Sehnsucht nach dem Tode sei in Wahrheit eine Sehnsucht nach dem Leben. Gesellschaftliche Aufgabe sei es, Sterbenden die Hand zu halten, wenn diese das Leben nicht mehr selbst in der Hand hätten.

Die zahlreichen Wortbeiträge in der sich anschließenden Diskussion zeigten nicht nur das große Interesse an dem Thema, sondern auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Sterben und die divergierenden Haltungen zur Sterbehilfe. Viele konnten aus eigenem privaten wie beruflichem Erleben berichten, so dass die beiden Abgeordneten vielfältige Anregungen und Hinweise für ihre Arbeit im Deutschen Bundestag mitnehmen konnten. Einigkeit herrschte darin, dass vordringlich in der Pflege schnell Verbesserungen erzielt werden müssten.

MdB Kerstin Tack griff in ihrem Schlusswort die Vision von Frau Dr. Goesmann auf, die sich eine intensive Vernetzung in den Quartieren wünschte, die Kranke und Sterbende auffängt, trägt und begleitet. Diese, so Tack, sei leider nicht gesetzlich zu regeln. Aber jede und jeder könne dazu beitragen, dass wieder mehr Gemeinschaft gelebt werde, auch dort, wo das Leben zu Ende gehe. Tack identifizierte die unterschiedlichen Regelungen zur Sterbebeihilfe in den Bundesländern als Problem, das gelöst werden müssen, und monierte ebenfalls die schwierigen Zustände in der Pflege. Der Dialog über das Thema werde fortgesetzt, versprach die Abgeordnete. Sie kündigte für den 14. Juli 2015 eine Folgeveranstaltung in Hannover an, die sie gemeinsam mit ihren Bundestagskolleg(inn)en Edelgard Bulmahn, Caren Marks und Matthias Miersch durchführen wird.

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MdB Kerstin Tack begrüßt die Gäste
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v.l.n.r.: MdB Kerstin Tack, MdB Eva Högl, Superintendent Hans-Martin Heinemann und Dr. med. Cornelia Goesmann
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MdB Eva Högl bei ihrem Eröffnungsstatement
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Dr. med. Cornelia Goesmann in der Diskussion mit dem Publikum